Montag, 20. November 2023

Woran ich so beim Laufen denke?


Heute dachte ich beim Laufen an meinen Freund Cem. Wer ist das? Nun. In meiner Wohnstraße befindet sich einer der kuriosesten Händler, die ich kenne. Ein Fahrradladen mit etwa 120 QM Verkaufsfläche und einer dazu gehörigen Reparaturwerkstatt. Der Inhaber ist sehr quirlig und betreibt den Laden allein. Seit gut 10 Jahren kenne ich ihn und bringe mein Fahrrad zur Reparatur oder Inspektion hin. Anfangs hatte er die Rollladen auch mal oben und klar geregelte Öffnungszeiten. Seit 2 Jahren hat er nur noch einen primitiven Zettel an der Tür mit der Handynummer. Wer einen Service braucht, der ruft ihn an und verabredet sich mit ihm. Das funktioniert kurzfristig und zuverlässig. Sein Sortiment besteht aus gebrauchten Rädern, die er günstig irgendwo "abschießt" und die er dann aufbereitet und mit etwas Profit verkauft. Im letzten Frühjahr und Sommer sah ich ihn dann oft vor seinem Laden auf dem Bürgersteig, wo er dann Fahrräder reparierte. Vor dem Laden auf der Straße steht sein Mercedes samt geschlossenem Anhänger. Quasi sein zusätzliches Lager. Im Spätherbst hielt ich dann mal an und sprach ihn an. Relativ schnell fand ich heraus, wieso er seinen Laden nicht mehr aufmachte. Um ehrlich zu sein, habe ich so etwas in meinem ganzen Handelsleben noch nicht gesehen. Der ganze Laden war voll gestellt, gelegt und gehangen mit seinen Fahrrädern. Kaum noch begehbar. Man konnte nicht mehr von Quadratmetern Verkaufsfläche sprechen, sondern der Ausdruck Kubikmeter brachte es besser auf den Punkt. Totes Kapital oder auch eine Anhäufung aufgestapelten Schrottes. Ich schüttelte ungläubig den Kopf und er schien meine Gedanken zu ahnen. Er hatte sich systematisch zugebaut und dann schlussendlich selber ausgesperrt. Er klagte mir sein Dilemma. "Seit 3 Jahren nehme ich mir vor, hier mal aufzuräumen, aber dann überhäufen mich die Kunden mit Reparaturwünschen. Da ich die vor dem Laden erledigen muss, bin ich auch noch vom Wetter abhängig und dann ist der Tag rum. Was soll ich machen?" Ich lachte: "Was hältst du von aufräumen? Einfach mal jetzt in der Nachsaison eine Woche Zeit investieren, deinen Bestand nach und nach komplett ausräumen, genau prüfen, was noch brauchbar ist, aussortieren, wegschmeißen. Die verbleibende Ware übersichtlich und zugänglich im Laden präsentieren, Preisschilder anbringen und wieder eine Ecke für Fahrradzubehör nutzen, das sb - gerecht dargestellt werden kann. Sieh zu, dass du deine Kunden mal wieder im Laden begrüßen kannst." Ich erinnerte mich an unser letztes Treffen, wo er mir einen kaputten Schlauch auswechselte. Wir standen vor dem Geschäft im Regen. "Hey, wir verbinden das Ausmisten mit einer großen Verkaufsaktion. Dann ersparst du dir den Weg zum Recyclinghof, haha und machst etwas Kohle." Er hing gebannt an meinen Lippen. "Weniger ist mehr. Zeige deine Ware einladend. Fahrräder müssen zugänglich sein, vorführbereit." Da war doch was. Er schien sich an die Anfänge zu erinnern. "Ja, ja, sagte er begeistert, ich kann sie nach Größen sortieren und nach Typ und...". Dann schaute er mich wie abwesend an und sagte, aber wo und wie fange ich an? Bei dem Gedanken an den kolossalen Aufwand schien ihm schlecht zu werden. Ich bin sicher, dass sich hier nichts ändern wird, aber letztlich kommt er irgendwie gut über die Runden. Ich finde es nur immer wieder schade, wenn Menschen ihre Möglichkeiten nicht annähernd ausschöpfen, obwohl es oft nur ein paar ordnende Griffe erfordert. Eine Seele von Mensch und extrem serviceorientiert. Der Laden könnte richtig brummen. Vielleicht geht er ja nach auf mein Angebot ein, ihn entsprechend zu coachen? Während ich auf den letzten Metern an seinem geschlossenen Laden vorbeilief dachte ich, nee, der hat einfach Angst vor dem ersten schweißtreibenden Schritt. Das wird nichts.

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